Schopfheim „Das braune Hemd galt als schick“

Markgräfler Tagblatt
Austausch (von links): Hansjörg Noe, Schulfreund Rudolf Geiger und Zeitzeuge Herbert Grässlin. Foto: Ines Bode Foto: Markgräfler Tagblatt

Museum: Vortrag von Hansjörg Noe über Zeitzeugen, die vom Leben in der Nazizeit berichteten

Sehr gut besucht war der Vortrag des Lokalhistorikers Hansjörg Noe im Museum. Inhaltlich ging es um das „Dritte Reich“ und wie örtliche Zeitzeugen die Ära erlebte hatten. Folglich waren viele Gäste anwesend, die einen persönlichen Bezug hatten.

Von Ines Bode

Schopfheim . Der Abend verstand sich als Nachgang zu Noes Kapitel im „Jahrbuch 2017“. Auf 100 Seiten lässt er darin über 20 Zeitzeugen zu Wort kommen. Die Erinnerungen der Frauen und Männer, damals Mädchen und Buben, schilderte Noe eindrücklich.

Mündend in der Erkenntnis: Neben dem Täterkreis, der sich an den grausamen Machenschaften Hitlers aktiv beteiligte, gab es die Reihen des Widerstands sowie „die große Masse“.

Jene, die zunächst einem Trugbild unterlagen, später gezwungen wurden, sich dem massiven Druck des Regimes zu beugen. Und jene, die viel zu jung waren, Kinder und Heranwachsende seien nicht imstande gewesen,

Kinder durchschauten das System nicht

das System zu durchschauen, verdeutlichte Noe. Mehrfach bezog er seinen Schulfreund aus Muggenbrunn in den Vortrag ein. „Rudi, so war’s damals, gell?“.

Am Rande erzählte Rudolf Steiger, Jahrgang 1942, man habe erst nach Jahrzehnten realisiert, in welch schlimmer Zeit man aufwuchs. Einigen ist das Päckchen packen der Mütter, die „Liebesgaben“ für die Front, noch bewusst. Der Jahreskalender, den das Regime dem Volk verordnete, sei voll gewesen. Speziell die Jugend machte erfreut Gebrauch davon. Dass man Ausgang hatte, war undenkbar, so Noe. Umso eifriger nutzten Burschen etwa Veranstaltungen im Pflughof – „wir haben auf die Mädchen gewartet“.

Diese standen unter noch strengeren Regeln. Es gab viele Gruppen, darunter die Marine- und Flieger-HJ, voller Aktivitäten für lebenshungrige Jugendliche. Ganze Riegen fanden sich laut Archivbildern auf Langenauer Wiesen ein. Die Gruppe „Schönheit und Glaube“ richtete sich an Frauen ab achtzehn, teils verheiratet, wobei diese ohne Kinder weniger geschätzt wurden als ledige Mütter. „Sie wissen warum“, meinte Noe, die arische Gesinnung andeutend.

Mit „hart“ beschreibt er die Disziplin in der „Hitler Jugend“ (HJ), „es war wie beim Militär“. Im Marsch ging’s von Fahrnau ins hinterste Zell und zurück – aber man wollte dabei sein. Gleichwohl hielt sich nicht jeder an die Vorschriften. Nicht jeder Lehrer schrieb den Schülern den Hitlergruß vor. Jedoch war „die Ideologie der Nationalsozialisten fruchtbar“. Entsetzt registrierte Noe, dass vor allem die Schicht der Intelligenz in Leitungsebenen rutschte. „Für mich war das erschreckend.“ Ganz anders als manch Argloser, der als Zwölfjähriger zum Hauptjungzugführer verpflichtet wurde. „Das braune Hemd mit Halstuch galt als schick, ebenso wie der Hosensaum, den der stolze Träger umkrempelte“. Hinzu kam die weiße Kordel, getragen wie ein Ehrenzeichen, die

Bei der Hitlerjugend war’s wie beim Militär

Anerkennung verschaffte.

Zum Beweis zeigte Noe Fotos, die einen lachenden Knaben in der Montur der „Hitler-Jugend“ zeigten. Freilich war es ein naives Gesicht, das sich dem Publikum bot. Sicht- und hörbar kam in Zuhörerreihe tiefe Ergriffenheit auf, so auch beim schweren Thema der Euthanasie. Ein unfassbar grauenhaftes Handeln, dessen Noe sich mit bewundernswerter Konsequenz annahm.

Menschen, gar Kinder, mit Behinderungen verschwanden, wurden nach Grafeneck gebracht und getötet. Dortige Bauern wunderten sich über die Asche, die über Nacht auf ihren Äckern lag. Nur ein Lichtblick war da der Arzt aus Wiechs, der nicht gleich die nötige „Fantasie“ (Noe) aufbrachte, der aber „ehrlich und offen“ Tagebuch führte. Der Sohn sollte diese Notizen Noe überlassen.

Bis auf eine Ausnahme enthalte sein Jahrbuch-Aufsatz die Namen aller zitierten Zeitzeugen, betonte der Historiker. Erfreulich sei, dass sich aus der Publikation im Sommer neue Resonanz, sprich Anrufe, ergaben, was zeige, dass die dunkle Vergangenheit im Bewusstsein der Nachwelt ist.

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