Lörrach Teilhabe dank Technik

Kristoff Meller
 Foto: Kristoff Meller

Pestalozzischule: An Leukämie erkrankter Junge nutzt Avatar, um dem Unterricht von zuhause zu folgen.

Lörrach -  Seit der Corona-Pandemie ist „Homeschooling“ für Schüler kein Fremdwort mehr. Doch wie funktioniert Fernunterricht, wenn ein Junge an Leukämie erkrankt ist und wegen der Infektionsgefahr auf absehbare Zeit nicht in die Schule kann, während seine Mitschüler wieder im Unterricht sitzen? Mit hochmoderner Technik problemlos, wie ein Fall an der Pestalozzischule zeigt.

Avatar vertritt Schüler im Uterricht

Die Lösung ist knapp ein Kilo schwer, 27 Zentimeter groß und hört auf den Namen „AV1“. Der kleine Roboter ist das Ergebnis des norwegischen Projekts „No Isolation“. In Deutschland wurden laut Medienberichten Anfang März die ersten Exemplare getestet, inzwischen sind schätzungsweise rund 150 Stück im Einsatz. Einer dieser so genannten Avatare vertritt nun einen autistischen Grundschüler der Pestalozzischule, der seit Ostern an Leukämie erkrankt ist.

„Er macht gerade die zweite Chemotherapie durch und wird wohl frühestens Anfang 2022 wieder am Unterricht teilnehmen können, da die Infektionsgefahr einfach zu groß ist“, erklärt Schulleiterin Isolde Weiß. Darum war sie sehr erfreut, als die Mutter des Jungen und der Förderverein für krebskranke Kinder in Freiburg mit der Avatar-Idee auf sie zukamen.

Förderverein für krebskranke Kinder verleiht die Geräte

Der Verein hat mehrere der Geräte angeschafft und verleiht sie an junge Krebs-Patienten in Südbaden. Dazu gibt es vor der Inbetriebnahme einen Aufklärungsvortrag für die Klassenkameraden zum Thema Krebs. „Das war richtig gut. Es wurde auch darauf eingegangen, dass durch das geschwächte Immunsystem schon ein einfacher Schnupfen gefährlich ist, weshalb er nicht so einfach in den Unterricht zurückkehren kann“, erzählt Weiß.

Danach konnte das Projekt starten. Das Gerät loggt sich im WLAN der Schule ein, verfügt aber zusätzlich über mobiles Internet, um es auch im Freien einsetzen zu können.

Der Junge steuert seinen Avatar über ein Tablet per App von zuhause. Dieser lässt sich um 360 Grad drehen und der Kopf zusätzlich um bis zu 70 Grad hoch und runter bewegen. Dazu können durch die Augen die Emotionen traurig, glücklich oder nachdenklich ausgedrückt werden.

Kranker Schüler weiter Mitglied der Klassengemeinschaft

„Das ist eine wunderbare Sache. Der Schüler ist dadurch weiter ein vollwertiges Mitglied der Klassengemeinschaft“, schwärmt Weiß, nachdem der Avatar zwei Wochen im Einsatz ist. Zuvor mussten allerdings alle Eltern der Verwendung aus Datenschutzgründen zustimmen, auch wenn die Kamera des Roboters nichts aufzeichnet und der Schüler mit seinem Tablet auch keine Screenshots aufnimmt.

Da der Roboter keine Beine oder Räder hat, ist jeden Tag ein anderer Schüler der Klasse für ihn verantwortlich, nimmt ihn morgens von der Ladestation mit in den Unterricht und stellt ihn auf den freien Platz des Schülers im Klassenzimmer oder auf eine Bank in der Sporthalle. „So ist er immer mit dabei – selbst in der Pause“, erzählt Konrektorin Anja Schubert. „Sie behandeln den Avatar wie ein rohes Ei“, ergänzt Weiß. Nicht ohne Grund: Der Roboter kostet rund 4000 Euro.

Aufgrund der Erkrankung kann der Junge nicht den kompletten Vormittag dem Unterricht per Webcam und Mikrofon folgen. Wenn er zu müde ist, lässt er mit einem Befehl den Kopf des Avatars blau leuchten, damit Mitschüler und Lehrer wissen: Im Moment schaue ich nur zu, möchte aber nicht gestört werden.

Wenn die Lämpchen am Kopf hingegen pulsieren, möchte er etwas sagen. Die Stimme wird dann über den integrierten Lautsprecher ins Klassenzimmer projiziert. Außerdem gibt es laut Hersteller einen Flüstermodus, um dem „Banknachbar kleine Geheimnisse zu verraten“.

Und wie zufrieden ist der Benutzer mit seinem Avatar? „Unser Sohn kommt mit ihm sehr gut zurecht“, berichtet die Mutter im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wenn er seine Klasse sieht, gibt ihm das zudem ein Gefühl der Sicherheit. Für ihn als Autist ist zudem ein geregelter Tagesablauf wichtig.“ Um so dankbarer ist sie für die Teilhabe am Schulalltag dank modernster Technik.

Immunsystem des Jungen muss sich erst wieder aufbauen

Denn das Immunsystem des Jungen muss sich nach der Behandlung erst wieder aufbauen. Darum könnte es laut seiner Mutter bis zum Frühjahr dauern, bis er wieder persönlich am Unterricht teilnehmen kann. „Bis dahin wäre er ohne den Avatar komplett abgeschottet. „So ist er mit dabei – und das ganz ohne Infektionsgefahr.“

Selbst zur Behandlung in die Klinik kann er sein Tablet mitnehmen. So hält er vom Krankenbett den Kontakt zur Klasse und kann aktiv am Unterricht teilnehmen, wenn er dafür fit genug ist.

Nur eines stört aktuell noch: der Avatar sieht ziemlich steril und unpersönlich aus. Doch schon bald soll der Vertreter für den Erkrankten laut Isolde Weiß ein gelb-schwarzes Halstuch seines Lieblingsvereins Borussia Dortmund bekommen. Die Mutter schwärmt: „Es ist echt der Wahnsinn, wie toll die anderen Kinder mit der Situation umgehen und wie sie zu meinem Sohn stehen.“

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