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Kreis Lörrach An Schulen wird der Ton immer rauer

Michael Werndorff
Verbale Entgleisungen, Beleidigungen, Mobbing und religiöse Konflikte belasten den Schulalltag. Foto: pixabay

Das Deutsche Schulbarometer berichtet von zunehmender physischer und psychischer Gewalt an Schulen. Vor diesem Hintergrund fordert Anja Hanke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das Zweipädagogen-Prinzip an Schulen.

Das Deutsche Schulbarometer zeigt, dass jeder zweite Lehrer physische und psychische Gewalt zwischen Schülern beobachtet. Die Befragung beschreibt ein zunehmendes Problem an Schulen, das Anja Hanke, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Kreis Lörrach, mit Blick auf verbale Gewalt bestätigt. Diese werde an den Schulen in den vergangenen Jahren vermehrt wahrgenommen, erklärt sie auf Anfrage unserer Zeitung. Indes: In Sachen körperlicher Gewalt könne sie den Anstieg schwer einschätzen. „Ich persönlich kann nicht von einer Zunahme sprechen, und ich nehme das auch in den Berichten meiner Kollegen nicht so wahr.“

Zahlen bleiben gleich

Ein genaueres Bild vermittelt die polizeiliche Kriminalstatistik: Die Auswertung der letzten fünf Jahre im Bereich der Schulgewalt ergab mit Ausnahme der Corona-Pandemie ein ähnliches Fallniveau der Jahre 2019, 2022 und 2023. Konkret: Vergangenes Jahr registrierte die Polizei im Landkreis insgesamt 29 Straftaten, davon 23 Körperverletzungen.

Soziale Medien

Derweil findet ein Großteil der verbalen Gewalt über die sozialen Medien auch außerhalb der Unterrichtszeit statt, verweist Hanke auf Beschimpfungen und Mobbing über WhatsApp und ähnliche Chatgruppen. „Und die Konflikte tragen sich natürlich in den Schulalltag.“

Das Problem sei, dass Lehrkräfte hierauf kaum Zugriff hätten und auch Eltern oft nicht wüssten, was ihre Kinder so im Netz treiben. „Es macht mich immer fassungslos, wenn mir schon Fünftklässler erzählen, dass sie auch nachts ungehinderten Zugang zu ihrem Handy haben und sich in den sogenannten sozialen Medien tummeln.“ An der Pestalozzischule Lörrach, an der Hanke tätig ist, seien verbale Gewalt in Form von Beschimpfungen und Beleidigungen an der Tagesordnung – körperliche Gewalt nicht, betont die GEW-Vorsitzende. Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung an der Robert-Bosch-Stiftung und Erstellerin des Schulbarometers, erklärt: „Wir sehen in den Ergebnissen die Momentaufnahme eines kranken Systems.“ Übermüdung, Unruhe und Konzentrationsschwäche sowie körperliche Unausgelastetheit nähmen in Schulen massiv zu, berichtet Hanke. Und weiter: „Wir erleben zunehmend orientierungslose Kinder und Jugendliche, die einem massiven Medienkonsum ausgesetzt werden.“ Erziehungsarbeit werde verstärkt in die Schule verlagert, sodass auch der Umgang miteinander häufig in der Schule erlernt werden  müsse. Die Folge: Das Unterrichten allgemein wird zunehmend schwieriger.

Nationalität ist Thema

Kriegerische Auseinandersetzungen und religiöse Konflikte machen sich ebenfalls an Schulen bemerkbar. „Jeder Konflikt wird auch in die Schulen getragen, insbesondere, sobald Kinder durch ihre Nationalität betroffen sind“, berichtet Hanke. Das sei auch beim Ukrainekonflikt der Fall. In manchen Klassen säßen sowohl ukrainische als auch russische Kinder, die die Haltungen aus den Elternhäusern in die Schule trügen.

Gegen Intoleranz

Auch der Israelkonflikt habe sich an den Schulen stark bemerkbar gemacht. „Wir mussten zum Beispiel an unserer Schule durchaus antiisraelische Äußerungen in den Klassen auffangen und thematisieren.“ Generell seien Schulen aufgefordert, aufzuklären und sich klar gegen Intoleranz jeglicher Form zu positionieren. Für sie sei klar, dass rassistische oder auch homophobe Äußerungen nicht unkommentiert stehen bleiben dürfen. „Sie müssten aufgegriffen und besprochen werden.“

Migration ist Thema

Für Sprengstoff in den Klassen sorgt auch die zunehmende Heterogenität. Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Herkunft und mit verschiedenen Bildungsniveaus treffen aufeinander. „Einen Zusammenhang zwischen den zunehmend heterogenen Klassen und der Beobachtung von wachsender Gewalt würde ich annehmen, eine einfache Erklärung gibt es hier aber keinesfalls“, lässt sich Wolf in der NZZ zitieren.

„Natürlich nehmen die Herausforderungen durch eine gestiegene Heterogenität auch durch Migration an den Schulen zu“, macht Hanke deutlich. Das hänge damit zusammen, dass die Zahl der Schüler steige, die zum Beispiel mit schweren psychischen Traumata zu kämpfen hätten. Auch gebe es Schüler, die bisher kaum eine schulische Sozialisation erlebt hätten, Analphabeten seien und die Regeln einer Schule erst kennenlernen müssten. „Es ist mir jedoch wichtig zu betonen, dass dies nicht an der Nationalität, sondern an den sozioökonomischen Verhältnissen liegt.“

Gezielt gegensteuern

Angesichts der Situation in den Schulen sieht Hanke dringenden Handlungsbedarf. Um gegenzusteuern, brauche es im Unterricht das Zweipädagogen-Prinzip. Denn: Gleichzeitig für die Vermittlung von Lernstoff und die Bewältigung von Disziplin- und sozialen Problemen für knapp 30 Kinder zuständig zu sein und dann noch den Anspruch zu haben, zu individualisieren, sei ein Ding der Unmöglichkeit.

Schulsozialarbeit müsse an jeder Schule, unabhängig von der Schulart, obligatorisch sein, fordert die Gewerkschafterin. Ferner brauche es mehr Schulpsychologen. Deutschland habe einen so niedrigen Betreuungsschlüssel wie kaum ein anderes OECD-Land. Und: „Wir haben für den gesamten Kreis Lörrach nur eine handvoll Schulpsychologen zur Verfügung. Das ist viel zu wenig.“

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