Von Kristoff Meller
Lörrach. Über die Vorgänge in den Lörracher Ortsteilen zur Zeit des Nationalsozialismus ist bislang nur wenig bekannt. Das könnte sich aufgrund der guten Quellenlage aber bald ändern, wie der Historiker Robert Neisen am Donnerstag im Gemeinderat berichtete. Auch zur Zahl der nicht-jüdischen NS-Opfer in Lörrach gibt es neue Erkenntnisse.
 
Dank Neisens Forschungsarbeit  „Lörrach und der Nationalsozialismus“ existiert seit 2013 für die Kernstadt ein umfangreiches Werk zur NS-Schreckensherrschaft. „Die Ortsteile blieben damals außen vor, weil der Mehraufwand aus Zeitgründen nicht zu leisten war“, erklärte der Freiburger Historiker. Doch Neisen hat sich inzwischen intensiv mit der Quellenlage für Hauingen, Haagen und Brombach beschäftigt und kommt nach „einmonatiger historischer Recherche“ und der Analyse von insgesamt 107 Akten zu dem Schluss: „Die Aktenlage für Brombach und Haagen ist gut bis befriedigend, für Hauingen ist sie teilweise eher dürftig.“ Eine Studie über die Teilgemeinden mit Schwerpunkt auf Haagen und Brombach könne aber eine „relativ lückenlose Darstellung leisten“. Selbst für Hauingen lasse sich zumindest „die politische Entwicklung in Grundzügen“ skizzieren.
 
Jahr 1933 fehlt in Haagener Chronik
 
Denn die bisherigen Ortschroniken berichten laut Neisen „nur sehr knapp“ über die Jahre 1933 bis 1945. „Das Jahr 1933 kommt in Haagen überhaupt nicht vor“, erklärte Neisen. Dabei sei die NSDAP in den Ortsteilen aufgrund der sozialen Struktur von Beginn an stark vertreten gewesen.  
Eine Studie sollte laut Neisen nicht nur einen Überblick  liefern, sondern auch „persönliche Schicksale“ beleuchten, um die Entwicklungen und Ereignisse für den Leser anschaulich darzustellen.
 
75 bislang nicht bekannte NS-Opfer
 
Neue Erkenntnisse über die Anzahl der  nicht-jüdischen Lörracher Opfer des Nationalsozialismus und ihrer Schicksale hat außerdem Kilian Fehr, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Neisen, zusammen getragen. Er hat in über 400 Arbeitsstunden viele bislang unbekannte Schicksale erforscht  und  ein elektronisches Verzeichnis von 88 Namen erstellt. „75 Personen davon waren bislang nicht als NS-Opfer bekannt“, berichtete Fehr dem Gremium.  
 
Die mit Abstand größte Gruppe bildeten dabei 67 Euthanasie-Opfer, die unter dem Vorwand der „Rassenhygiene“  umgebracht wurden. Trotz seiner „gewissenhaften Recherche“, so Fehr, sei es „nicht auszuschließen, dass weitere Opfer auftauchen“. Das Verzeichnis eigne sich aber gut zur nachträglichen Ergänzung.
 
Oberbürgermeister Jörg Lutz dankte den Historikern für ihre Arbeit und sprach sich für eine „vertiefende Studie" zu den Ortsteilen aus. Es müsse diskutiert werden, wie man mit den Ergebnissen umgehe. Das Thema werde das Gremium „auf jeden Fall noch beschäftigen“.
 
Auch Christiane Cyperrek (SPD), deren Fraktion vor zwei Jahren den Antrag für die genaueren Untersuchungen gestellt hatte,  hielt es für sinnvoll, „einen weiteren Auftrag“ für die Aufarbeitung der NS-Geschichte in den Ortsteilen zu vergeben. Außerdem sprach sie sich dafür aus,  noch einmal die Diskussion  zur künftigen Gedenkform für die Opfer aufzunehmen.