Kandern Genie der Weltliteratur etwas anders

Weiler Zeitung
Rainer Stach bei der anekdotenreich garnierten Lesung aus seiner dreibändigen Franz-Kafka-Biografie im Riedlinger Theater im Hof. Foto: Walter Bronner Foto: Weiler Zeitung

Lesung: Rainer Stach las in Riedlingen aus seiner monumentalen Franz-Kafka-Biografie

Kandern-Riedlingen (bn). Franz Kafka, wie ihn kaum jemand je wahrgenommen hat, wurde am Montagabend im Riedlinger Theater Hof einem dicht gedrängt sitzenden und gespannt lauschenden, mitunter auch staunenden und amüsierten Publikum nahgebracht.

Zu Gast war Rainer Stach, langjähriger Lektor des S. Fischer-Verlags und anschließend dessen Autor. 18 Jahre lang arbeitete Stach an einer Biografie des sprachgewaltigen Schriftstellers in Zeiten der verdämmernden Donaumonarchie.

Heraus kam dabei ein mehrfach preisgekröntes dreibändiges Standardwerk von über 2000 Seiten, das mittlerweile auch in zahlreiche andere Sprachen übersetzt wurde. Neuerdings gibt es auch Pläne einer Verfilmung des monumentalen Stoffs als mehrteilige TV-Serie.

Stach verwies eingangs darauf, dass es mittlerweile rund 25 000 Bücher über Franz Kafka gibt, von denen sich aber 95 Prozent fast ausschließlich mit seinem Werk befassten, hingegen Kafkas Vita und sein Lebensumfeld eher fragmentarisch dargestellt blieben, wodurch, so Stach, ein unvollständiges und teilweise recht schiefes Personal- und Charakterbild des bedeutenden Schöpfers einzigartiger Weltliteratur entstand. Dies auch, weil wesentliches Quellenmaterial nicht zugänglich war.

Etwa die Briefe, Tagebücher und sonstigen Aufzeichnungen des engsten Kafka-Freundes Max Brod, dessen schriftstellerischer Nachlass trotz gerichtlich erwirkter Freigabe bis heute von den Erben unter Verschluss gehalten wird. Deshalb entstand Stachs Mammutwerk auch nicht in chronologischer Abfolge, sondern begann mit dem Band über die „mittleren Jahre“ Kafkas, deren Quellenlage am ergiebigsten war. Es sind die Jahre von 1910 bis 1915, in denen Kafkas Hauptwerke entstanden und seine tragikumflorte „Fernbeziehung“ zu Felice Bauer sich in etlichen tausend Briefen widerspiegelt.

Stachs Buch dazu erschien 2002. Der 2008 publizierte Fortsetzungsband behandelt die „Jahre der Erkenntnis“ und die letzte Lebensphase des Tuberkulose-Patienten, der 1924 mit 41 Jahren seiner Krankheit erlag. Die Darstellung seiner Jahre der Entwicklung und Reifung erschienen zuletzt 2014 als dritter Band.

Je eine anekdotisch gewürzte Textpassage aus diesen drei Lebensphasen hatte der Biograf ausgewählt, um sein Riedlinger Auditorium mit dem „unbekannten Kafka“ vertraut zu machen. So die sportliche Seite des leidenschaftlichen Schwimmers, der sich viel in öffentlichen Bädern aufhielt und das Gleiten im Wasser wohl auch als erotisierend empfand.

Sodann den Prager und Wiener Stadtmenschen, der ein ausgesprochenes Faible fürs Landleben hatte, und statt eines Aufenthalts im Sanatorium lieber auf dem eher schlecht als recht bewirtschafteten Bauernhof seiner jüngsten Schwester in einem kleinen tschechischen Kaff weilte.

Seine Brieftexte von dort stehen im diametralen Gegensatz zum Gefühlschaos eines todgeweihten TBC-Patienten. Als dritten Text trug Stach die groteske Episode einer Mailandreise des jungen Kafka und seines Freundes Brod vor, bei der Letzterer in hypochondrische Panik verfiel ob der Nachricht, dass in der Stadt die Cholera ausgebrochen sei. Nicht zuletzt stellten Stachs ebenso aufschlussreiche wie amüsante Schilderungen seiner Erfahrungen und Erlebnisse als Biografie-Schreiber den Löwenanteil des faszinierenden Autorenabends dar.

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