^ „Aufbruch ins Weite“: Das Kloster Mariastein erfindet sich neu - Basel - Verlagshaus Jaumann

„Aufbruch ins Weite“ Das Kloster Mariastein erfindet sich neu

Tim Nagengast
Die neobarocke Ausgestaltung der Basilika in Mariastein erfolgte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Foto: Tim Nagengast

In Mariastein bereitet man sich auf die Zeit nach den Benediktinern vor. Noch 14 Patres – jeder zweite über 80 Jahre alt – bilden die Gemeinschaft. Und Nachwuchs gibt es keinen mehr. Mit dem „Aufbruch ins Weite“ werden die Weichen für die Zukunft gestellt.

Wie von selbst fassen die drei mittleren Finger der rechten Hand in die Weihwasserschale, als die schwere Tür der Basilika ins Schloss fällt. Ein paar Tropfen auf die Stirn, dann aufs Brustbein, linke Brust, rechte Brust.

Die eben noch strahlende Vormittagssonne ist urplötzlich hinter einer Wolkenwand verschwunden, sodass nur noch wintergraues Licht den in neobarocker Opulenz gestalteten Innenraum des eigentlich spätgotischen Schiffs der Klosterkirche erhellt. Hie und da sitzt jemand auf einer mit Schnitzereien versehenen Kirchenbank. Ins Gebet versunken, in einem Büchlein blätternd. Eine ältere Dame macht ein „Selfie“ von sich und der mächtigen Orgel im Hintergrund. Ein Ehepaar deutet flüsternd auf ein Detail des Deckenfreskos.

Die bekannte Basilika von Mariastein vereint Spätgotik und Neobarock miteinander. Foto: Tim Nagengast

Kaum jemand bemerkt dabei die Männer in den schwarzen Mönchskutten, die durch eine Seitentür eintreten und fast lautlos im Chor des Gotteshauses platznehmen. Bis ihr Gesang anhebt: „Herr, erbarme dich!“ Die Besucher schauen auf, hören zu. Manche erheben sich, falten die Hände. Es ist kurz vor zwölf, die „Mittagshore“, wie dieser Gottesdienst im Klosterdeutsch heißt. „Herr, erbarme dich!“

Ins Kloster zu gehen, ist nicht mehr „in“

Doch es sind nur wenige Stimmen, die da so eindrücklich im Kirchenschiff widerhallen. Denn die meisten Plätze im großen Chor sind verwaist. Nur noch 14 Mönche leben heute im Mariasteiner Konvent. Die Mehrheit von ihnen ist über 80 Jahre alt. Der älteste ist 98, der – mit sehr großem Abstand – jüngste 43.

Klösterlicher Nachwuchs? Es gibt fast keinen. Denn auch an Mariastein geht der schleichende Bedeutungsverlust von Gott und Kirche im Leben vieler Menschen nicht vorüber. Ein Leben im Kloster als „mittelloser“ Mönch, der dem Materiellen entsagt und sein Leben der Arbeit für die Gemeinschaft, die Mitmenschen und vor allem dem Herrgott widmen will, ist heute offensichtlich kaum noch attraktiv. Den Humus für geistliche Berufungen gibt es offenbar – zumal in Europa – nicht mehr.

Wie ein Widerspruch erscheint es da, dass Jahr für Jahr rund 250 000 Menschen nach Mariastein strömen. Zur Einkehr, als Pilger, die Trost und Hilfe in der Basilika oder der Grotte suchen, oder als Tourist, der die Klosteranlage auf einer landschaftlich reizvollen, ruhigen Hochebene nur 15 Kilometer hinter dem hektischen Basel genießen will. Eine Viertelmillion Menschen. Und das aus aller Welt, wie Florian Dolder bekräftigt.

Nicht nur der Verwaltungschef des Benediktinerklosters wünscht sich, dass es für Mariastein weitergehen möge, wenn die Benediktinermönche einmal nicht mehr da sind. Denn das Kloster in der kleinen solothurnischen Exklave an der französischen Grenze gilt vielen Menschen als Kraftort, als Ort der Hoffnung, Begegnung und Einkehr.

Wenigstens aus geistlicher Sicht ist – trotz des hohen Alters der Mönche – noch keine große Eile angesagt. Denn selbst dann, wenn die Benediktiner nicht mehr da sind, bleibt Mariastein kirchenrechtlich für weitere 100 Jahre bestehen. Ein Jahrhundert, in dem theoretisch viel passieren kann.

„Was ist, wenn sich in ein paar Jahrzehnten zum Beispiel wieder ein paar Brüder finden, die das Kloster beleben? Das müssen dann ja nicht unbedingt Benediktiner sein“, sagt Dolder.

Dann würde es weitergehen? Dolder nickt. „Unsere Patres sind sehr offen für das, was kommen mag. Und doch weiß man nicht so recht, wohin die Reise geht“, sagt der (weltliche) Verwaltungsleiter des Klosters.

Noch bringen die allermeisten der 14 Mönche sich nach besten Kräften im klösterlichen Alltag ein. Bruder Anton zum Beispiel. Trotz seiner 98 Lebensjahre arbeitet er jeden Tag mit Freude in der Klosterküche. „Bruder Anton ist ein wunderbarer Mensch – und ein Vorbild“, sagt Florian Dolder mit großem Respekt vor der Lebensleistung des greisen Mönchs. „Ein anderer Mönch zum Beispiel ist gelernter Schreiner. Er ist zwar 87 Jahre alt, aber er hilft dem Hauswart, hat selbst hier eine Werkstatt und kümmert sich obendrein um die Bienenstöcke.“ Der jüngste Klosterbruder pflegt die Kranken, versorgt den großen Obstgarten – und bald auch noch die Bienen.

Gasthäuser, Wohnungen und ein Hotel

Dafür, dass alles „rund“ läuft, sorgen obendrein rund 20 Angestellte, die sich zwölf Vollzeitstellen teilen. Sie arbeiten beispielsweise im Gästehaus, in der Verwaltung, im Klosterladen und in der Wallfahrt.

Denn Mariastein ist nicht nur ein Kloster, sondern auch ein Unternehmen. Da gibt es zum Beispiel mehrere AGs, die derzeit zusammengeführt werden, um die Strukturen zu vereinfachen. Das Kloster selbst soll außerdem eine neue Rechtsform erhalten.

Dazu kommen ein Restaurant, ein Hotel, 15 Wohnungen und ein Bauernhof. Den hat seit 101 Jahren dieselbe Familie gepachtet. Das Hotel „Kreuz“ am unteren Ende des Klosterplatzes freut sich über Wallfahrer genauso wie über Gäste, die hier im Schwarzbubenland einfach gerne wandern gehen wollen. Im „Jura“ (in Privatbesitz) und in der „Post“ lässt es sich prima speisen. Und relativ preiswert wohnen könne man in den klostereigenen Wohnungen obendrein, sagt Dolder. Sichtbarster Mieter im weitläufigen Klosterareal ist – der auf dem Vorplatz parkende Streifenwagen verrät es – übrigens die solothurnische Kantonspolizei.

Mariastein ist, wie man beim Blick hinter die Kulissen erkennt, ein Ort, an dem die Erfordernisse von profaner und sakraler Welt auf vielerlei Weise miteinander verschmelzen. „Mariastein 2025 – Aufbruch ins Weite“ heißt dabei das Projekt, mit dem es gelingen soll, all diesen so unterschiedlichen Ansprüchen auch in Zukunft gerecht zu werden und Mariastein als das zu erhalten, was es ist: Kraftort, Begegnungsort, Lebensort.

Dazu ruht „Aufbruch ins Weite“ auf drei Säulen: der geistlichen, der organisatorischen und der architektonisch-baulichen. Im Zentrum von Letzterer steht dabei die komplette Neugestaltung des Klosterplatzes.

Aber das lesen Sie im untenstehenden Artikel.

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